Twitter, Meinungsfreiheit & Persönlichkeitsrechte

Das LG Frankfurt/Main, Urteil vom 14.12.2022, Az. 2-03 O 325/22 hat Twitter bestimmte Pflichten auferlegt, die hier besprochen werden sollen. Twitter unterliegt als ein „der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich[es] Medium mit hoher Breitenwirkung“ bestimmten rechtlichen Pflichten hinsichtlich seiner User. Das System der Social-Media-Plattform kennzeichnet sich durch einen diversen Austausch von Kommentaren und von Reaktionen auf diese sogenannten „Tweets“. Damit bietet es einen Nährboden für die Meinungsfreiheit, zugleich aber auch ein Risiko für das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines jeden dort thematisierten. In diesem Kontext entscheid das Landgericht Frankfurt a.M. am Mittwoch, den 14.12.2022, dass sowohl Tweets, die konkret als ehrverletzend oder unwahr gelten, als auch solche, die diesbezüglich einen kerngleichen Inhalt aufweisen, der Löschung bedürfen. Das Landgericht folgt dabei seinem eigenen Entscheidungsturnus (vgl. LG Frankfurt/ Main, Urteil vom 08.04.2022, Az. 2-03 0 188/21), sowie dem des EuGHs und BGHs (vgl. EUGH, Urteil vom 03.10.2019 -C-18/18 Rn. 37 ff.; BGH, Urteil vom 01.03.2016 – VI ZR 34/15 Rn. 23 – jameda.de II).

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Urteil gegen Twitter – das war der Anlass

Konkret ging es um schwere Anschuldigungen gegen den Antisemitismusbeauftragten Baden-Württembergs (Michael Blume). Blume soll Tweets zufolge „eine Nähe zur Pädophilie“ aufweisen und Kontakt zu einer „möglicherweise minderjährigen Asiatin“ aufgenommen haben. Außerdem wird ihm ein „sexuelles Fehlverhalten“ in Form eines „Seitensprung[s]“ unterstellt. Entgegen seiner Amtsstellung unterliegt Blume durch die Twitter-Beiträge zudem dem Vorwurf einer antisemitischen Gesinnung und der Angehörigkeit eines „Pack[s] von Antisemiten“. Antragsgegnerin des Verfahrens ist eine Host-Providerin Twitters, gegen die Blume Unterlassungsansprüche geltend macht.

Das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main gegen Twitter

In Fällen wie diesen, ist eine angemessene Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Belange zu ermitteln. Ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht Blumes ist jedenfalls dann rechtswidrig, wenn sein „Schutzinteresse […] die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt“. Die Presse- bzw. Meinungsfreiheit gem. Art. 5 I GG schützt regelmäßig Werturteile, die den Zweck einer Meinungsäußerung verfolgen und Tatsachenbehauptungen, solange diese nicht bewusst unwahr oder erwiesen falsch sind. Bei den Tweets handelt es sich um Äußerungen, die sowohl Werturteile als auch Tatsachenbehauptungen innehaben.

Die Äußerung Blume hätte eine Neigung zur Pädophilie, basiere nach dem Frankfurter Landgericht auf einer Tatsache, die nicht erweislich wahr ist und für die es keine Anhaltspunkte gäbe, mithin sei sie nicht meinungsfreiheitlich geschützt

Dasselbe gelte für die Tweets über seine angelbliche sexuelle Affäre. Außerdem würden Materien wie diese regelmäßig der Intimsphäre zugeordnet werden. Das Sexualleben unterliege weder dem öffentlichen Interesse, noch wurde vorliegend der Diskretionsschutz durch eine Selbstöffnung seitens Blumes unterbrochen.

Der Vorhalt des Antisemitismus hingegen sei zunächst eine Meinungsäußerung, denn die „Qualifizierung einer politischen Einstellung oder Geisteshaltung einer Person [enthalte] Elemente eines Werturteils, die nicht dem Beweis zugänglich sind“.

Diese Behauptungen wurden jedoch nicht im Kontext einer kritischen Haltung zu Blumes Amt als Antisemitismusbeauftragten getätigt, sondern in Verbindung mit ehrverletzenden unwahren Tatsachenbehauptungen über sein angebliches krankhaftes oder untreues Sexualverhalten. Zusätzlich war dieser Antisemitismusvorwurf Inhalt mehrerer verschiedener Tweets.

Das Landgericht bewertete diese Äußerungen als rechtswidrig, weil sie keinen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leisten würden, sondern viel eher in gefühlsregender Form negative Stimmung gegen die Person des Antragstellers verrichten würden.

Andere Beiträge, die ebenfalls einen Antisemitismusvorhalt gegen Blume begründen, qualifizierte das Gericht hingegen als zulässig. Diese thematisierten lediglich die Nennung Blumes in einer veröffentlichen Liste vom Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles über die größten Antisemiten weltweit. Mit der Veröffentlichung der Liste im Jahre 2021 wurden ihre Inhalte, dem öffentlichen Diskurs ausgesetzt. Die Tweets liegen somit im Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung, gegen die sich Blume ebenfalls nur öffentlich zur Wehr setzen kann.

Letztendlich ergab das einstweilige Verfügungsverfahren, dass der Antisemitismusbeauftrage diversen Verletzungen seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts unterliege. Dabei nahm die beklagte Host-Providerin zwar nicht die unmittelbare Störerfunktion des Twitterusers ein, jedoch eine mittelbare.

Bezugnahme auf BGH-Rechtsprechung

Nach gängiger BGH-Rechtsprechung sind Host-Provider nicht verpflichtet, die Nutzerbeiträge präventiv vor ihrer Veröffentlichung zu prüfen. Wird der Provider jedoch mit so konkret gefassten Beanstandungen von Betroffenen konfrontiert, dass der Rechtsverstoß unschwer erkennbar ist, erwächst ihnen eine Prüfpflicht mit der Kenntnis über den rechtswidrigen Inhalt. Außerdem müsste der Provider in diesem Fall eine Stellungnahme des für den Beitrag Verantwortlichen einholen und im Kontext der streitigen Tweets evaluieren.

Blume setzte die Host-Providerin mittels des twittereigene Meldeverfahrens über mindestens 46 Tweets in Kenntnis. Außerdem forderte er die Providerin in zwei anwaltlichen Schreiben vergebens dazu auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Es folgte die Accountsperrung des streitigen Users, die zeitweise aufgehoben wurde und die Löschung von drei der beanstandeten Tweets.

Damit habe die Host-Providerin nicht alles ihr technisch und wirtschaftlich Zumutbare getan, um die vorliegenden Rechtsverletzungen zu beseitigen und weitere zu verhindern. Sie habe ihre Prüfpflichten verletzt, mithin als mittelbare Störerin „willentlich und adäquat kausal“ zur Rechtsgutsbeeinträchtigung Blumes beigetragen. Daraus würde ihr eine Unterlassungspflicht erwachsen, die sich nicht nur auf die beständige Beseitigung der konkreten Inhalte bezieht, sondern auch auf die Verhinderung kerngleicher Verletzungen, unabhängig von wem sie stammen. Dies begründe noch immer keine allgemeine Pflicht zum Monitoring, jedoch eine auf konkrete Inhalte limitierte Prüfpflicht. Müssten die Provider nur wortgleiche Tweets von bestimmten Usern löschen, würde die Unterlassungspflicht leerlaufen und leicht umgänglich sein.

Elon Musk wurde auch thematisiert

Blumes Antrag thematisierte zudem beiläufig den im Oktober 2022 vollzogenen Verkauf von Twitter an den US-Milliardär Elon Musk. Er habe Zweifel darüber, dass die besagte Host-Providerin „nach der Übernahme durch Elon Musk willens sei, angezeigte Rechtsverletzungen zu verhindern und hierfür die notwendigen sachlichen und personellen Mittel vorzuhalten“. Damit bezog sich Blume insbesondere auf die von ihm bemühten twittereigenen Meldeverfahren und anwaltlichen Schreiben. Ob die Zurückhaltung der Host-Providerin etwas mit der Kündigungswelle zu tun hat, die durch Musk eine Woche nach der Übernahme des Social-Media-Konzerns losgetreten wurde, greift das Landgericht in seiner Entscheidung nicht auf.

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